Das vermutete Blutbad.

Veröffentlicht von tom am 5. Februar 2010 in Afrika, Ghana

Jetzt habe ich mich mal wieder selber ertappt.
Aber ich muss sagen es wird jedes mal besser und tut gut wenn man die Erkenntnis hat.

Als ich noch in Deutschland gelebt habe, dachte ich, dass ich (fast) frei von Vorurteilen – und vor allem sehr tolerant für alles Mögliche bin. Im Vergleich zu vielen Deutschen ist das bestimmt auch so gewesen aber schon beim Vorbereitungsseminar in Köln, bei dem wir auf die Lebenssituationen in unseren zukünftigen Ländern etwas gewappnet wurden, habe ich im Kurs „Interkulturelle Kommunikation“ das ein oder andere mal gemerkt, dass man von Grund auf mit Vorurteilen erzogen wird. Es liegt an unserer Denkweise, der Kultur, an dem was wir in der Schule lernen, an den Nachrichten etc….

Das Seminar und vor allem Ghana helfen mir gerade Vorurteile und andere Gedankengänge, die man unterbewusst in sich versteckt hält aber doch auslebt, zu finden.

Gestern kam Milena und meinte, dass die Moslems morgen einen Feiertag haben. Sie war in Accra und hat gesehen wie jede Menge Schafe, Ziegen und Kühe durch die Gegend gefahren wurden, da an dem Feiertag jede Familie (die es sich Leisten kann) ein Tier „opfert“. Auch in Komenda gibt es viele Moslems. Da ich sehr kritisch mit dem Thema „Religion“ umgehe wollte ich am nächsten Morgen einen Blogeintrag über die extremen religiösen Ansichten der Mensch hier schreiben und mich natürlich auch zu dem „Opfern“ äußern. Die Äußerung wäre wahrscheinlich überwiegend negativ ausgefallen. Ich meine klar ist es krass wenn man überlegt, dass in so vielen Ländern parallel so viele Tiere „ausbluten“. Aber als ich dann im Nachhinein gedacht hab wie selten hier an anderen Tagen geschlachtet wird und wie viele Tiere in Deutschland industriell in einer Stunde „zerheckselt“ werden, dann ist die Relation schon wieder eine ganz andere. Als ich den halben Artikel fertig hatte, dachte ich, dass es falsch ist, sich über dieses Schlachten zu äußern, wenn man nur das erzählen kann, was man sich in seinem Kopf zu diesem Thema ausmalt. Strg + A und und der Text war gelöscht. Da wir im „Songo“, dem muslimischen Viertel von Komenda, leben, bin ich zu unserer Nachbarin gegangen und habe gefragt wann und wo diese Feier genau statt findet, weil ich mir erstmal selber ein Bild von allem machen wollte. Sie hat mich zu ihrem Mann geschickt der dann wiederum eine Frau geschickt hat, die mich zu einem anderen Mann gebracht hat, der mir dann den Platz gezeigt hat.

Als ich ankomme, werde ich von einem Dutzend Männern, von denen die Hälfte traditionelle Gewänder tragen und die anderen ganz normale Sachen wie Jeans und Basketballtrikots, sehr freundlich empfangen. Sie bedanken sich herzlich, dass ich sie besuche, bringen mir einen Stuhl, gekühltes Wasser und bedanken sich nochmal. Wir sitzen zusammen und ich schaue über ihre Schultern und beobachte den Platz.

Das Schlachten hat schon stattgefunden und sehe da. Ich hätte es komplett anders beschrieben als jetzt. Erstens sind es gar nicht so viele Tiere, da sich hier aus Geldmangel bis zu sieben Familien ein Tier teilen und zweites wird jedes Teil vom Tier genutzt. Das Fleisch von den Schafen und den Kühen liegt auf einen Riesengrill mit einer faszinierenden Konstruktion. Ein Mann spannt gerade mit Holzpflöcken die Felle der Tiere und selbst die Köpfe der Tiere, so sagt mir einer der Männer, werden nach dem das Fleisch über dem Feuer gegrillt ist auch noch in die Glut gelegt und das Fleisch davon dann gegessen.

Ich sitze noch zwei Stunden mit den Männern zusammen. Wir unterhalten uns über die schlechte Arbeitssituation in Komenda. Wir diskutieren darüber, das fast alle Männer hier arbeitslos sind, da es so gut wie keine Firmen oder Unternehmen in Komenda gibt die Leute anstellen. Die Zuckerfabrik die fast ganz Komenda beschäftigt hat und noch ein Überbleibsel der britischen Kolonialzeiten war, ist schon seit den 80ern geschlossen. Darüber werde ich wann anders aber noch berichten. Ich frage ob ich ein paar Fotos machen kann. „Don`t worry. Feel free.“

Sobald ich die Kamera raus hole stehen 20 Kinder am Rand des Platzes. Fotos sind eine Sensation. Sich auf dem Display der Kamera zu sehen ist für die Kinder das Größte. Ich mache erste ein paar Fotos vom Grill und den Fellen und dann von den Kids. Dann werden auch die Männer munter und wir starten eine kleine Fotosession.

Mittlerweile ist das Fleisch gut und vor mir steht eine große Schale mit Reis und einer leckeren Soße, dazu gibt es das frisch gegrilltes Fleisch. „Chop my friend, chop more“. Iss mein Freund, iss so viel du kannst. Wir sitzen alle um die Schale und essen mit den Händen. Als die Schale leer ist kommt die Nächste. Nachdem wir alle satt sind bekommen die Kinder essen. Mir ist aufgefallen, dass nur kleine Mädchen (bis 10 Jahre) auf dem Platz sind und gar keine Frauen. Das ist die Regel bei der Feier. Die Frauen sitzen außerhalb, unterhalten sich und bereiten den Reis und die Innereien der Tiere zu. Amina, die auch auf dem Platz ist, fährt mich zu ihrer Mutter. Ich werde herzlich empfangen und die Frauen fragen ob ich sie nicht mal Fotografieren könnte.

Wir sitzen noch eine Weile zusammen und dann gehe ich wieder zu den Männern. Als ich ankomme begrüßt mich einer der Männer mit „Hallo, wie geht es dir“. Er hat vor langer Zeit mal ein paar Sätze Deutsch gelernt und wir unterhalten uns etwas. Danach verabschiede ich mich von allen und gehe zum AIM. Meeting.

Serdar Somuncu, ein deutsch türkischer Stand-Up-Comedian, hat einmal gesagt:
„Tatsächlich scheint es ein Hauptmotiv von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeiten zu sein, dass man sich mehr vor dem Ungewissem fürchtet als vor der Ähnlichkeit.“ Ich denke das war die Lektion des Tages.
Bevor man urteilt – erstmal kennen lernen!

Euer Tom

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